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Recht auf ein besseres Leben: Wie San den Weg in die Zukunft finden
Ombili repräsentiert den scheinbar einzigen möglichen Weg in die Zukunft: Ein Weg der Anpassung und Adaption an die veränderten Lebensumstände der San in Namibia.
Artig stehen die Kinder der Klassen drei und vier in Reihen. Die Kleinen vorne, die Größeren hinten. Auf ein Zeichen der Lehrerin beginnen sich die Münder unisono zu bewegen: „Nimm eine Decke, breite sie aus. Nimm einen Besen, fege den Boden. Nimm einen Löffel, schöpf die Suppe damit…“, leiert der Chor die fremden englischen Kinderverse hinunter. „Leg Dich zur Ruhe, Du hast es nötig“, lautet der Schlussreim, und da lacht das Publikum endlich.
Seltsam geordnet und zivilisiert geht es zu, als die Kinder der Ombili-Grundschule zeigen, was sie im Unterricht gelernt haben. Ein afrikaanses Volksgedicht aus Apartheidszeiten wird rezitiert, das von einem „Kaalvoetklonkie“ erzählt. Zuvor hatte die Schule nach der namibischen Nationalhymne „Einigkeit und Recht und Freiheit“ gesungen und dazu die bundesdeutsche Flagge gehisst. Später stimmt der Chor das afrikaanse Lied „Skarumba“ an, den nervtötenden Ohrwurm aus Gobabis, der monatelang die namibische Hitparade dominiert hat.
Von traditioneller San-Kultur ist nicht viel zu spüren auf Ombili. Und doch ist die Ombili-Stiftung das Zuhause von knapp 650 Hei//um, Kung und anderen Sprach- und Kulturgruppen der Buschleute Namibias. 1989 zur Unabhängigkeit des Landes gegründet, bietet die Stiftung auf der Farm Hedwigslust, etwa 70 Kilometer nördlich von Tsumeb, ein Refugium für die allerorten vertriebenen und unterdrückten San.
Ein wenig von traditioneller San-Kultur kann man noch auf der Farm Wilderniss in der Nähe von Tsinsabis bei Bushmantrails-Touranbieter und Ombili-Stiftungsmitglied Reinhard Friederich finden.
„Ich werde oft von Touristen gefragt, warum ich mich für Ombili engagiere, wo sich doch die Kultur der San dort so stark geändert hat“, erzählt Friederich. „Meine Gegenfrage ist dann immer: Glauben Sie, dass die Kultur der Buschleute das Paradies war?“ Es mag sich ja alles sehr romantisch anhören, findet der Farmer, der mit Hei//um aufgewachsen ist und zu den wenigen Weißen Namibias gehört, die die Sprache mit den komplexen Schnalzlauten fließend sprechen. Die Realität aber sehe anders aus: „Es war alles andere als ein Paradies. Diese Menschen mussten viele Tage ohne Wasser auskommen. Die Frauen mussten manchmal ihre eigenen Babies töten, wenn sie noch ein anderes Kind unter vier Jahren an der Brust hatten. Wenn das ein Paradies gewesen sein soll, dann möchte ich nicht wissen, was die Hölle ist.“
Es führt kein Weg daran vorbei, findet Friederich: „Die San müssen sich anpassen. Um 1903 haben in Namibia 200 000 Menschen gelebt. Inzwischen sind es 1,8 Millionen. Das ursprüngliche Territorium der Buschleute existiert heute nicht mehr. Sie können nicht mehr frei jagen. Und durch die Überweidung wachsen viele der Feldfrüchte, von denen die San früher gelebt haben, gar nicht mehr.“
Die traditionelle Schule der San ist überholt. Was die Kinder früher auf dem Rücken der Mutter gelernt haben, das findet heute keine Anwendung mehr. Die einzige Alternative ist die Schulbank, wie sie u.a. Ombili bietet. Hier haben die Kinder zumindest die Gelegenheit, unter ihresgleichen aufzuwachsen. Das ist nämlich einer der Hauptgründe, warum nur so wenige San-Kinder die höhere Schullaufbahn abschließen: Als eine Minderheit in von anderen Volksgruppen dominierten Schulen fühlen sie sich nicht zu Hause. Zu tief sitzt die Scheu, zu präsent ist die jahrzehntelange Unterdrückung und Vertreibung der San von stärkeren Völkern.
In Ombili aber sind die San in der Mehrheit. Der – für die Zukunft und das Selbstvertrauen so wichtige – Austausch mit Mitgliedern anderer Bevölkerungsgruppen ist hier dennoch gegeben, denn viele der Kinder stammen aus Mischlingsehen: von San-Frauen, die eine Verbindung mit einem Bantu-Mann eingegangen sind. Für die Bantu-Völker ist eine solche Verbindung weitgehend verpönt, weil nicht standesgemäß. In der Gemeinschaft auf Ombili sind diese Kinder aber willkommen. Und hier haben sie eine Chance, für das Leben zu lernen: Ein Leben, in dem die Spurensuche, die Jagd mit Pfeil und Bogen, die spirituelle Einheit mit der Natur keine Anwendung mehr finden, in dem vielmehr Schreiben und Lesen und die Kenntnis der Landessprache gefragt sind.
„Warum sollte man von Menschen, die täglich die härtesten Überlebenskämpfe geführt haben, erwarten, dass sie so leben wie vor hundert Jahren?“, fragt San-Kenner Friederich. „Wenn Sie jemals ein Recht hatten, dann ist es dieses: ein einfacheres Leben zu führen!“